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Plastik als Formfindung

Das plastische Gestalten von Peter Vaughan ist zugleich abstrakt und gegenständlich und in dieser scheinbaren Widersprüchlichkeit prinzipiell logisch: Vaughans künstlerisches Grundproblem ist die Entwicklung der plastischen Form. Diese führt er bei jedem Werk so weit aus, bis sich die abstrakte Urform  in einen individualisierten, nie da gewesenen und abgeschlossenen Gegenstand verwandelt. Die Plastik Vaughans ist verkörperte Formwerdung, dargestellt in allen Entwicklungsstadien gleichzeitig. Die Entrvicklungsregie variiert Vaughan je nach Charakter des gedachten Werkes. Manche Skulpturen erinnern an eine Explosion, die just in dem Moment angehalten wurde, als das Ganze noch nicht in einem Chaos aufging, sondern ein dynamisches Zusammensein von Details blieb. Bei dieser Art von Figuration kann man noch die,,Nullform" erkennen, die sich entweder durch die Form einer kleinen Kugel oder durch die geschlossenen und abgerundeten Konturen des gesamten Werkes verrät. Die Skulpturen sind in Bronze gegossene kristalline Wachstumsphantasien, die die Konturen des Kerns aufsprengen.

Die Verkörperung von Ideen im plastischen Werk ist bei Vaughan ein komplexer Prozess * und dies nicht nur wegen der emotionalen und intellektuellen Qualen, die einen jeden schöpferischen Akt begleiten. Die Komplexität der Gestaltung ist begründet in der Vielfältigkeit und Breite von Vaughans Inspirationsquellen. Seine ldee, aus der Grundform eine Plastik zu entwickeln, ist kunstphilosophischer Natur. Für Vaughan stellt die Grundform eine vollkommene Welt dar, die sich noch nicht entfaltet hat, enthält jedoch im Kern alle Formen" die von ihr während der Arbeit abgeleitet werden. Das künstlerische Schaffen setzt das Hineinhören und das Sich-Vertiefen in den Körper der Grundfonn voraus. Der Künstler lässt die Form wachsen. Vaughan behauptet sogar, sie wächst ganz allein - wenn man sie richtig versteht. Deswegen ist die Formfindung für Vaughan voll Überraschungen und unerwarteten Wendungen; was er macht, sieht er plötzlich.

 Eine Bestätigung und ferner eine thematische Erweiterung für sein Konzept der Formentfaltung, fand Vaughan in Platons Philosophie. Im ,,Gastmahl" beschreibt Platon den Urmenschen, ein 'Wesen, das eine Kugelform und drei Geschlechter hatte: Es gab bei ihm nicht nur ein weibliches und ein männliches Geschlecht, sondern auch ein drittes, das die beiden vereinte. Nachdem dieses vollkommene menschliche Wesen versuchte, den Himmel zu ersteigen, wurde es von den Göttern in zwei Hälften gespalten. Zwar verlor es seine Vollkommenheit, erhielt jedoch ein individuelles Gesicht. Beide Theorien wirken nun im Werk von Vaughan zusammen. Die Form ist für ihn nach wie vor eine geteilte Einheit, als Ausgangspunkt für das neue Werk verwendet er gern eine Kugel.

In der Regel gibt es keinen Plan, kein Modell für die Entwicklung einer Form. Jeden Schritt misst Vaughan an den schon vorhandenen Formen - an den Elementen der auseinander genommenen Grundform. Manchmal sind die Formen des Ergussgesteins, die den Bronzeplastiken als Sockel dienen, für die Formgebung des entsprechenden Kunstwerks wegweisend. Vaughan verwendet dafür vor allem Basaltsäulen. Auch dieser Verbindung der Formen gibt Vaughan eine sinnreiche Deutung. Er leitet sie von der Herkunft der beiden Stoffe ab: Die Bronze wie auch das Ergussgestein sind durchs Feuer gegangen, sind geschmolzen. Auf dem Weg, während dessen die Bronze zum Kunstwerk und die Lava Säule ,,gewachsen" sind, erfahren die beiden ein Siegel der Individualisierung - für Vaughan sind die Basaltsäulen ,,Charaktersteine", jede Säule ist anders.

 Die Themen von Peter Vaughans Kunst entziehen sich dem Versuch, sie eindeutig zu benennen. Sie akzeptieren keine Logik. Um sie aufzuspüren, unternehme auch ich eine unlogische Aktion: An seine Themen will ich durch eine parallele Analyse seines Schaffensortes herankommen. Peter Vaughans Werkstatt ist eine Hütte mitten in einem fast leeren Garten, der sich am Rand einer Ortschaft befindet. Mit seiner Leere, einer strengen Gestaltung und den vereinzelten Basaltsäulen, die auf einer großen Wiese stehend auf ihre zukünftigen Bronzewerke warten, erinnert der Garten mehr an einen städtischen Park als an ein dörfliches Gartenparadies. Er ist jedoch auf keinen Fall urbanistisch: Die strengen Formen des Gartens brechend, liegt neben der Hütte ein Baumstamm, der dem Meister und seinen Gästen als Sitzbank dient. Und rechts von der Hütte wächst ein wildes Gebüsch. Nirgendwo wird hier die puristische Sauberkeit eines Stils eingehalten. In einem bleibt der Gärtner Vaughan konsequent: An allem, was er berührt, lässt er seine Handschrift erkennen.

 Doch zurück zu den Themen des Bildhauers Vaughan. Dass das Wachstum für ihn im Mittelpunkt steht, ist kein Zweifel. Er meidet aber jeglichen Naturalismus. Obwohl Vaughan seine künstlerische Tätigkeit mit figürlicher Darstellung begann, gab er sie bald auf. Die Nachahmung von Naturformen liegt ihm fem - zu langweilig ist sie für einen Künstler, dessen Kunst die Regeln für jede Darstellung neu erfindet. Auch das Organische ist nicht sein Thema, seine Werke sind bewusste Artefakte. Das Wachstum, das ihn beschäftigt, ist eher surreal. Betrachten wir zum Beispiel seine Arbeit ,,Die Verwandlung". Angefangen mit einer ellipsoiden abstrakten Form, verwandelte sie sich plötzlich in ein käferartiges Wesen. Den Titel für diese Plastik übernahm Vaughan von der gleichnamigen Erzählung Franz Kafkas, in der der Held über Nacht zu einem Käfer mutiert. Wie oft in seinem Schaffen, sah Vaughan die Analogie zum literarischen Werk nicht zu Beginn der Arbeit, sondern erst später, als die Grundform in eine bestimmte Richtung zu wachsen begann. Eine ähnliche Verwandlung, aber ohne literarische Vorlage, geschah mit der Plastik,,Kücken".

 Manchmal wird das Kunstwerk zum Ort und zur Form der Selbsterkenntnis. Die ,,Selbstfindung wächst aus der mittleren großen Kugel wie aus einem Bauch. Der obere und der untere Teil finden sich in der Mitte dieser Kugel, wo noch eine, eine kleine Kugel zu sehen ist. Diese Konfiguration ist eine Metapher für den Gedanken Vaughans, dass in der Selbstfindung das Innerste eines Selbst zum Vorschein kommt. Bei dieser Art des Schaffens wird die Grenze zwischen dem schaffenden Subjekt und dem entstehendem Objekt aufgehoben, in der Vertiefung in die Form findet eine psychologische Vertiefung statt.

Die Metapher als ein künstlerisches Verfahren verwendet Vaughan auch dort, wo er sich der philosophischen Thematik annähert - die Neigung zur Philosophie ist bei Vaughan ganz offensichtlich. Als Frucht dieser Neigung sind die Holzskulpturen,,Metamorphose des Weltengeistes Nr. 1“, ,,Die Synthese", die Bronzeplastik,,Am Anfang war der Mensch eine Kugel" u. a. entstanden. Es ist wichtig zu unterstreichen, dass die Werke Vaughans nicht Symbole für abstrakte intellektuelle Konstruktionen, sondern Bildmetaphern sind. Ein Symbol bleibt ein Zeichen, das keine ästhetischen Ansprüche stellt. Die Metapher dagegen ist stets verspielt; sie besitzt die Fähigkeit zu täuschen, und durch die Täuschung erzetg! sie ein komplexes bildhaftes Kunstwerk. In der Metapher bleiben der Individualismus und die Subjektivität des Schaffenden uneingeschränkt, was dem Kunstkonzept Vaughans auch vollkommen entspricht. So ist Vaughans ,,Metamorphose" keine gehorsame Vermittlung des Hegelschen Gedankenguts, sondern ein Spiel mit diesem. Die Kunstform, die daraus entsteht, hat ihren autonomen, ästhetischen und individuellen Wert. Man kann sie genießen und begreifen, auch ohne sich über den philosophischen Hintergrund informieren zu müssen.

 Das Auseinandersetzen ist wohl die Grundbestimmung sowohl für die thematische als auch für die formelle Seite der Kunst von Peter Vaughan. Das wichtigste Mittel dafür auf der Ebene der Gestaltung ist die Linie, die die weichen Formen und die Flächen trennt und teilt. Die Werke von Vaughan sind kantig, viele Oberflächen sind Schnittflächen, d.h. durch eine gerade Linie innerhalb der Grundform von einander getrennt. Ein anschauliches Beispiel für die eigenartige Kombination von Linien und Flächen im Stil von Vaughan ist,,Charon". Der Verlauf der Linie ist hier so kompliziert und präsent, dass das Werk als Plastikzeichnung benannt dürfte. Und in der Plastik,,Am Anfang war der Mensch eine Kugel", sind die weichen Formen wie mit einem dünnen Haar durchschnitten, ähnlich wie man im Altertum Eier mit einem Haar - einer Linie eben - trennte. Bezeichnend für das Formvokabular Vaughans sind kleine und schmale Flächen, die wie breite Linien aussehen. In,,Balanceakt" hat er mehrere dieser Art verwendet. Die dreidimensionalen Linienbänder helfen dem Künstler, die Monotonie der glatten Oberfläche zu unterbrechen. Gleichzeitig bringen sie zusätzliche Verbindungen ins Spiel, die die Komposition mit Nuancen, aber auch mit Rätseln bereichern.

 Mit einer provokativen (und in gleichem Masse schablonenhaften) Frage zum Schluss möchte ich den Künstler selbst unter die Lupe nehmen: Ist die Kunst von Peter Vaughan aktuell? Das Verständnis des Aktuellen in der Kunst hat sich zu einer Instanz entwickelt, die allein über die Tendenzen und den Wert der künstlerischen Produktion zu entscheiden scheint.
Um zum Mainstream der,,aktuellen" Kunst gezählt zu werden, reicht es oft aus, die Nachrichtenkultur zu beherrschen und effektvoll auftreten zu können. Vaughan ignoriert beides. Wenn man jedoch auf den aktuellen Medientheoretiker Vilém Flusser ist der Weg vom schaffenden Subjekt zu seinem Projekt, zu dem er ein individuelles, ja intimes Verhältnis pflegt, mit der Menschwerdung gleich zu setzen. Und diese Verwandlung scheint ihre Aktualität bei Weitem noch nicht verloren zu haben.

von Ljudmila Belkin

Frankfurt am Main, den 6. Juni 2008

@ Ljudmila Belkin 2008

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